Identitätskontrolle
Von Philipp Beyer


In der unterelsässischen Kleinstadt Hagenau verlässt die 35-jährige Elsa Lothringer wie jeden Donnerstag gegen 23 Uhr das Studio von Radio Dreyeckland. Die Bankkauffrau fährt mit dem Auto eine Freundin heim, die ebenfalls im Verein tätig ist. Vor dem Haus dieser Freundin stellt sie den Motor ab; beide bleiben sitzen und reden noch zwei Worte, im Licht einer Straßenlaterne.

Es kommt die Gendarmenstreife. Alle vier Mann verlassen den Wagen. Einer von ihnen geht auf Elsa zu.

Der Gendarm: Contrôle d’identité! Vos papiers!

Elsa, auf Elsässerdeutsch: Wie bitte?

Der Gendarm, etwas näher: Bonsoir. Veuillez présenter vos papiers, s’il vous plaît!

Elsa legt die Hände flach aufs Steuer: Meine Papiere? Aber gern. Wenn Sie mit mir in meiner Sprache sprechen.

Der Gendarm staunt: Vous savez le français?

Elsa ist eine politisch engagierte junge Frau: Ja, ich kann auch Französisch, nur im Moment hab’ ich keine Lust, Französisch zu sprechen.

Der Gendarm ist das nicht gewohnt: Mais vous parlez le français, au travail!?

Elsa: Französisch, am Arbeitsplatz? Ja, auch... Ich bin jetzt aber nicht auf der Arbeit!

Der Gendarm droht: Vous refusez de décliner votre identité!? Je vous avertis. C’est une infraction. Vous risquez le tribunal!

Elsa: Ich soll vors Gericht? Weil ich meine Sprache spreche!?...Hören Sie, verlangen Sie mir meine Papiere auf Deutsch. Sie bekommen sie, gar keine Frage.

Jetzt regt der Gendarm sich auf: Vous êtes en France! Alors, parlez français!

Elsa: Ja gut, wir sind hier nicht in Châteauroux. Wir sind in Hagenau. Im Elsass. Es geht um unser Recht auf unsere Sprache. Außerdem können Sie Deutsch, denn Sie verstehn mich. Genieren Sie sich? Gell, der Chef ist mal wieder ein Franzose...

Fragen, Aufforderungen, Drohungen und Antworten wiederholen sich. Der Gendarm hat inzwischen auch Elsas Begleiterin nach ihrem Namen gefragt. Die Freundin ist aus Korsika. Ihre Antwort fällt trocken: Riccardi!

Die vier Gendarmen stehen um den Wagen herum. Sie kontrollieren Reifen und Lichter. Genauestens. Diverse Einschüchterungsposen und -manöver.

Lange Pausen.

Nacht ist es schon lange. Es beginnt zu regnen.

Elsa Lothringer wird von der Streife in die Gendarmerie-Kaserne* mitgenommen. Ein fünfter Gendarm sitzt dort. In der allgemeinen Not wird ein sechster gerufen, der im Sportdress kommt, aus dem Bett wahrscheinlich. Der weiß sofort Bescheid, ähnliches hat er schon in der Bretagne erlebt. Dass der Chef sich persönlich einsetzt, ändert aber nichts: auf französische Fragen folgen immer wieder elsässische Antworten. Von den sechs Gendarmen, die die junge Frau um sich herum hat, setzen sich zwei an den Tisch. Der eine sucht mit Hilfe der Wagennummer nach Elsas Namen. Der zweite beginnt, ein Protokoll zu tippen. Elsa wird gebeten, sich zu setzen.

Immer noch Regen gegen die Fensterscheiben. Bei diesem Wetter möchte man nicht draußen sein, sagt einer. Wir haben ja Zeit, grinst ein anderer.

Die Gendarmen finden Elsas Namen und Adresse. Elsa ist im Städtchen Hagenau gut bekannt. Als autonomistische Aktivistin und Kandidatin bei mehreren Wahlen.

Der Offizier im Sportdress, dem das berichtet wird - die Finger kurz an der Nasenspitze: Ah, c’est vous! Eh ben, c’est du propre!

Kein Wort mehr. Das Protokoll wird lang. Einer reibt sich das Kinn. Ein anderer blättert demonstrativ in einem dicken Buch, sucht nach Paragrafen.

Langes Warten. Unschlüssiges Tippen. Kahle Wände, Ölfarbe. Ein Plakat: La Gendarmerie Nationale – ein Gendarm hilft einer lachenden älteren Dame über den Zebrastreifen. Blauweißrot.

Jetzt ist der Bericht fertig.

Der Offizier nimmt dem Untergebenen die Blätter aus den Händen. Er wendet sich Elsa zu: Signez ça.

Elsa nimmt eines der Exemplare in die Hand. Der Bericht, den Sie liest, entspricht dem Geschehenen. Im Text steht ausdrücklich, dass Elsa den Gendarmen ihren Ausweis zu zeigen bereit ist, wenn ihr dieser auf Deutsch verlangt wird.

Gut, dieses Protokoll werd’ ich unterschreiben. Darf ich eine Abschrift haben?

Der Gendarm lehnt ab: Non!

Elsa bittet um Papier. Sie fängt damit an, auf einer Ecke des Tisches das getippte Blatt abzuschreiben.

Der Text ist lang. Elsa schreibt ihn Wort für Wort ab.

Die Gendarmen werden unruhig. Der Chef sichtlich auch. Plötzlich stürzt er sich auf die junge Frau und reißt ihr das Blatt unter Stift und Händen weg.

Elsa lehnt sich zurück.

Ich werde das Protokoll nicht unterschreiben, wenn ich keine Kopie bekomme. Wissen Sie, was ich hier mache, ist Politik. Es geht um unsere Identität.

Die Gendarmen geben ihrem Käppi einen Schubs nach hinten. Die ganze Zeit gehen immer wieder einige von ihnen aus dem Raum und kommen später wieder herein.

Der französisch-elsässische Dialog hat aufgehört.

Es kommen wieder alle Gendarmen herein.

Bon, vous pouvez y aller.

Elsa ist froh, dass sie gehen darf. Es ist inzwischen einige Zeit vergangen.

Ja ja, ich bin aber nicht zu Fuß gekommen...

Sie wird von der Streife wieder an ihr Auto gebracht.



*Im Gegensatz zur Polizei ist die Gendarmerie in Frankreich dem Verteidigungsministerium unterstellt.






© 2003 Ph. Beyer









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